AGROTOURISMUS IN FRANKREICH

 DARGESTELLT AN BEISPIELEN
AUS DEM DEPARTEMENT
CALVADOS (BASSE-NORMANDIE)

 
 


DIPLOMARBEIT
MEMOIRE DE MAITRISE
THESIS

Bernd Gerlach
Altersbach


1.Gutachter: Prof. Dr. Wollkopf
2.Gutachter: Doz. Dr. Hüwe


In dieser Arbeit werden Entwicklung und Ausprägung des französischen Agrotourismus dargestellt und anhand von Beispielen aus dem Departement Calvados in der nordfranzösischen Region Basse-Normandie erläutert. Besondere Beachtung findet das Verhältnis zwischen Agrotourismus und Landwirtschaft. Um die Bedeutung des Agrotourismus zu bestimmen, werden im vorgestellten Departement seine Wechselwirkungen mit den geographischen, historischen, demographischen, touristischen, landschaftlichen und landwirtschaftlichen Gegebenheiten untersucht. Bei dieser Untersuchung konnten im ländlichen Raum Probleme wie Rückgang der Zahl landwirtschaftlicher Betriebe, Überalterung und Abwanderung festgestellt werden. Gefährdet sind im Departement Calvados dadurch die historisch landwirtschaftlich geprägte Heckenlandschaft Bocage und die für sie charakteristische Streusiedlungsstruktur. Betriebe mit agrotouristischer Aktivität erwiesen sich angesichts dieser Probleme als besonders stabil; sie sind jedoch aufgrund ihrer relativen Seltenheit nur begrenzt in der Lage den ländlichen Raum zu stabilisieren.

Vorwort

Unter Agrotourismus soll in dieser Arbeit der Aufenthalt von Gästen zum Zwecke der Erholung, Freizeitgestaltung oder Übernachtung in außerhalb der Städte gelegenen, von Landwirten unterhaltenen Einrichtungen verstanden werden. Dieser Aufenthalt, erbrachte Leistungen und eventuell erworbene landwirtschaftliche Erzeugnisse werden den Betreibern bezahlt.
Der Agrotourismus in Frankreich und insbesondere seine Stabilisierungsfunktion für den ländlichen Raum und die Landwirtschaft sollen anhand von Beispielen aus dem nordfranzösischen Departement Calvados, das in der Abhandlung vorgestellt wird, beurteilt werden. Dazu dienen vier Betriebe, ein mehrere Gemeinden betreffendes Programm zur Förderung des Tourismus sowie eine departementale Initiative zur Erschließung ländlicher Regionen mittels touristischer Rundkurse. Ausgehend von den Beispielen soll abgeschätzt werden, welches Potential der Agrotourismus zur Lösung der für das Departement spezifischen Probleme der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes besitzt. Betrachtungen zu Wechselwirkungen zwischen Agrotourismus und ländlichem Raum sollen die Abhandlung begleiten.
Die Bedeutung einer nationalen Konzeption und Organisation des Agrotourismus wird anhand der Fédération nationale des Gîtes de France (Nationale Interessengemeinschaft Urlaub auf dem Lande) untersucht.
Untersuchungen zu den Erwartungen der Gäste agrotouristischer Einrichtungen und der Vergleich des Agrotourismus mit dem Gesamttourismus sollen die Arbeit vervollständigen.
Zur Datensammlung dienten neben dem Literaturstudium zwei einwöchige Aufenthalte auf vorgestellten Bauernhöfen, die Teilnahme an Veranstaltungen und zahlreiche Konsultationen kommunaler und departementaler Behörden.
1 Die Entwicklung und Bedeutung des Agrotourismus in Frankreich
1.1 Die Anfänge und der kulturelle Hintergrund
Die bäuerliche Lebensweise und Tradition werden in Frankreich als wichtiges nationales Erbe und Symbol für Originalität geachtet. Die Naturschilderungen des Philosophen Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) und die Darstellungen des bäuerlichen Milieus durch die Schriftstellerin George Sand (1804-1876) lassen erkennen, daß die Liebe zur Natur sich oft als Hinwendung zu bäuerlich bewirtschafteter Landschaft und ländlichem Leben ausdrückt. Diese Neigung zeigt sich auch in einigen Romanen von Honoré de Balzac (1799-1850), den besonders die am Weinbergen reiche Landschaft um die westfranzösische Stadt Tours fasziniert oder bei Gustave Flaubert (1821-1880) der in seinem Roman Madame Bovary ein einfühlsames und detailgetreues Bild des ländlichen Lebens in der Normandie des 19.Jh zeichnet. Fast jedem Kind sind in Frankreich die Geschichten des Erzählbandes Briefe aus meiner Mühle bekannt, in denen Alphonse Daudet (1840-1897) das Landleben in der Provence beschreibt. Es dominierte, anders als in der deutschen Romantik, wo schroffe Felsen, tiefe Wälder und spektakuläre Landschaften als Motiv dienten, in Literatur und bildender Kunst das Bild weiter, leicht gewellter Felder, auf denen sich bis zum fernen Horizont verschiedene Kulturen abwechseln. Verbunden damit war die Achtung der bewirtschaftenden Menschen.
Diese Haltung erklärt, warum Ende 18., Beginn 19. Jh. begüterte Franzosen ihrer Sommerfrischen hauptsächlich auf dem Lande verbrachten (BONNEAU, 1980). Ab 1820 begann jedoch der Aufschwung der Badeorte und des Urlaubs im Gebirge, auch mangelnder Komfort der Bauernhöfe trug dazu bei (BONNEAU, 1980). Die Verteuerung der mondänen Badeort und der nach wie vor vorhandene Bedarf an ländlicher Ruhe und Originalität führten Ende des 19.Jh. zu einem neuen Aufschwung der Ferien auf dem Lande. Initiativen wie die „Vereinigung für ländlichen Wohnraum“ (Association de l’habitat rural), gegründet 1898, oder die Vorstellung eines Modells für eine «Chambre d’hôte» (Fremdenzimmer) 1912 anläßlich einer Landwirtschaftsausstellung in Amiens (Nordfrankreich) zeigen erste Tendenzen zu einer organisierten Form des Agrotourismus. Die genannte Ausstellung illustriert auch gut den Beginn der Auswirkungen des Tourismus auf die ländliche Lebensweise: organisiert vom Französischen Automobilklub, der Gesellschaft der Landwirte des Departements Somme und dem Touring-Club de France, sollten anhand von Fremdenzimmern auf einem Bauernhof die Vorteile der Elektrifizierung gezeigt werden.
Die internationale Anfeindung zur Zeit des ersten Weltkrieges bewirkte eine teilweise nationalistische Hinwendung zur ländlichen Tradition. Im Jahre 1936 erfolgte mit der Einführung der 40-Stunden-Woche in den Industriebetrieben auch die Gewährung zwei Wochen bezahlter Ferien in Frankreich, wodurch der Bedarf an preiswerten Unterkünften zur Erholung und Abwechslung stieg. Das 60. Jubiläum dieser Neuerung wurde 1996 im normannischen Seebad Etretat gefeiert, wo 1936 Pariser Arbeiter ihre ersten Ferien am Meer verbrachten.
Die durch die zunehmende Industrialisierung ausgelöste Abwanderung in die Städte führte gleichzeitig dazu, daß im ländlichen Raum viele Wohngebäude leerstanden und als Gastunterkünfte genutzt werden konnten.
Verbunden mit dem steigenden quantitativen Bedarf an Ferienunterkünften erfolgte auch eine qualitative Verbesserung. Der Touring-Club de France und der Bund gegen Tuberkulose startete 1920 den Wettbewerb „Schönes Dorf“, (village coquet). In erster Linie trug dies zur Sauberkeit der Dörfer bei - eine wichtige, auch durch den Agrotourismus angeregte Entwicklung.
Während des 2. Weltkrieges waren die meisten französischen Strände gesperrt, und zur Erholung bot sich allenfalls das Land an. Der Lebensmittelmangel in den Städten, und die Unterstützung der Bauernschaft durch das Regime Vichy, führte jedoch während des Krieges und der Nachkriegszeit zu Spannungen im Verhältnis Stadt-Land.
Nach dem Krieg setzte sich in Frankreich die Abwanderung in die Städte fort, familiäre Beziehungen blieben jedoch bestehen. Viele Abwanderer behielten bis heute ihre Eigentumsrechte und nutzen ihr ehemaliges Haus als Ferienwohnung oder verkauften bzw. vermieten es als solche. In den beiden administrativen Regionen Basse- und Haute-Normandie, die heute des Gebiet «Normandie» repräsentieren, beispielsweise, existierten 1994 als Folge dieser Entwicklung 157.800 Zweitwohnsitze mit 789.200 Betten (dies entspricht 75% der touristischen Übernachtungskapazität) (COMITE REGIONAL DU TOURISME DE NORMANDIE, 1995). Dieser bedeutende jedoch schwer erfaßbare Anteil des ländlichen Tourismus kann jedoch in dieser Arbeit nicht genauer untersucht werden.
Der Umzug in die Städte bedeutete für viele Menschen auch eine soziale Entwurzelung, die als Ausgleich das Bedürfnis nach Beibehaltung der Kontakte durch regelmäßige Besuche bei Verwandten auf dem Land hervorrief. Die Suche nach ländlicher Ursprünglichkeit zeigt sich in Frankreich auch im Interesse für die traditionelle Küche und die Vorliebe für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die bei den Erzeugern oder an deren Ständen auf den zahlreichen Wochenmärkten erworben werden.
1945 wurden Ferienschecks (bons de vacances) für Arbeiterfamilien wiedereingeführt. Diese Familien suchten daraufhin verstärkt bezahlbare Unterkünfte außerhalb der Städte. Eine starke Nachfrage war also vorhanden und ebenfalls die grundsätzlichen Voraussetzungen für das Angebot: die touristische Nutzung leerstehender Gebäude bot sich für Bauern, die zunehmend unter den Nachteilen des niedrigen Erlöses kleiner, unrentabler Felder litten, als Möglichkeit für ein zusätzliches Einkommen an. Eine Koordinierung und Förderung dieser Interessen erwiesen sich somit als öffentliches Gebot.
Der erste Gîte rural im heutigen Sinne (siehe auch Abschnitt 1.2.2.1.) wurde 1951 auf Initiative des Senators Emile Aubert des Departements Basses-Alpes (heute Alpes de Haute-Provence) geschaffen (BONNEAU, 1980). Er erhielt die Erlaubnis, Gelder, die bisher für die Erhaltung bäuerlicher Wohnungen bestimmt waren, Landwirten zur Verfügung zu stellen, um Zimmer für Touristen in ehemaligen Scheunen oder Nebengebäuden einzurichten. Als erster profitierte der Bauer Lucien Roche aus dem damaligen Departement Basses-Alpes der eine Fläche von 7 ha bewirtschaftete. Er erhielt 200 000 Franc (alt) um eine Scheune in einen Gîte rural umzuwandeln (BONNEAU, 1980).
Die Idee, auf einem Bauernhof mit öffentlicher Hilfe eine Ferienwohnung für Touristen herzurichten, war somit realisiert. Das Beispiel veranlaßte 1951 den Landwirtschafts- und den Tourismusminister diese neue Bewegung zu fördern. Im gleichen Jahr beschloß der Landwirtschaftsminister dafür ein Subventionsprogramm und die für die Landwirtschaft stark engagierte Bank Crédit Agricole gewährte Kredite für die Einrichtung von Gîtes ruraux auf Bauernhöfen.
Die großen Hoffnungen, die man in das touristische Potential bäuerlicher Betriebe und in die Wirkung des Tourismus für den ländlichen Raum setzte, veranlaßten zur Gründung einer Interessengemeinschaft zur landesweiten Propagierung des Agrotourismus. Es wurde erkannt, daß für dessen Erfolg eine Zusammenarbeit verschiedener Ebenen und Ressorts der Verwaltungen notwendig war, diese Aufgabe sollte die Fédération nationale des Gîtes de France (s.u.) erfüllen. Es bestätigte sich, wie schon die Entwicklung im 19. Jh. zeigte, die Bedeutung nationaler Organisationen für den Agrotourismus in Frankreich.
 

1.2 Die „Fédération nationale des Gîtes de France“ (FNGF)
1.2.1 Konzept und Aufgaben
An 22. Januar 1955 erfolgte die Gründung dieser Organisation, sie wird auch kurz Gîtes de France genannt und kann mit «Nationale Interessengemeinschaft Urlaub auf dem Lande» übersetzt werden. Gîtes de France ist ebenfalls das begehrte und geschützte Markenzeichen aller ihrer touristischen Einrichtungen und nicht nur das der eigentlichen «Gîtes».
Als wichtigster Akt wurde im ersten Jahr ein Katalog der Qualitätskriterien und der Pflichten der Besitzer der betreuten Einrichtungen erarbeitet: die «Charte des Gîtes de France». Dieser bedeutende Schritt hat wesentlich dazu beigetragen, ein Markenzeichen zu schaffen, das das Vertrauen der Kunden genießt. Hiermit wurde auch ein grundsätzliches Problem des Agrotourismus gelöst: unterschiedliche Mentalität und Lebensweise von Stadt- und Landbevölkerung können leicht zu falschen Vorstellungen bezüglich der Unterkunft führen. Der Titel Gîtes de France gibt den Kunden Sicherheit hinsichtlich der Qualität und mindert somit das Risiko von Enttäuschungen bei Gast und Gastgeber. Alle Einrichtungen werden bei der Einweihung und danach jährlich bezüglich der Einhaltung bestimmter Kriterien (Umgebung, Innen- und Außengestaltung, Mobiliar und sonst. Ausstattung, Informationsmaterial zum Tourismus) kontrolliert und eingestuft (1-4 „épis“-Ähren, als Äquivalent zu den „Sternen“ der Hotels und Restaurants). Ein Beispiel aus den sechziger Jahren zeigt eine Wirkung der Reglementierung: Ein Landwirt war verblüfft, daß für die Einrichtung eines Gîte rural ein Kühlschrank notwendig war und weigerte sich zunächst einen solchen zu kaufen. Mit viel Widerwillen geschah dies schließlich doch, bald folgte sogar der Kauf eines zweiten Gerätes - für den eigenen Bedarf (PASCAL, 1994).
Ein weiteres, im Wesen des Agrotourismus begründetes Problem ist die Vermittlung zwischen Gast und Gastgeber. Der einzelne Landwirt kann sich wegen zu großer Entfernung und mangelnder Zeit und Erfahrung kaum direkt um die Werbung für seine touristische Einrichtung kümmern. Diese Aufgaben übernimmt die Organisation FNGF und macht somit den Agrotourismus im Rahmen des Gesamttourismus wettbewerbsfähig. 1994 wurden 110.500 Telefon- und 51.000 briefliche Anfragen (davon 6000 aus dem Ausland) von der Pariser Zentrale beantwortet (GITES DE FRANCE, 1995). Desweiteren erfolgten 450.000 Konsultationen durch MINITEL (franz. Videotextsystem) und 40.000 Besuche im Pariser „Haus der Gîtes de France“, dem Sitz der Organisation. Die Veröffentlichung nationaler Kataloge hat es ermöglicht, daß Gîtes de France 1994 in 4000 in- und ausländischen Buchhandlungen durch ihre Veröffentlichungen präsent war. Gîtes de France ist ebenfalls auf Messen und in Salons vertreten und organisiert Werbekampagnen, das Veröffentlichen von Artikeln und die Präsenz in Funk und Fernsehen.
Die FNGF vertritt die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber den staatlichen Verwaltungsorganen, insbesondere was deren juristischen und steuerlichen Status betrifft. Ebenfalls erfolgt in den Geschäftsstellen der Departements eine Beratung zu Fragen der Bereitstellung von Subventionen aus verschiedenen Quellen (Europäische Fonds, Hilfen der Departements und Regionen).
Die Organisation berät ihre Mitglieder und führt Weiterbildungskurse durch. Der Beratungsbedarf vor Beginn einer touristischen Aktivität ist groß, denn für Landwirte ist beispielsweise die Einrichtung eines Gîte rural eine ungewohnte Aufgabe, die ohne entsprechende Beratung nicht in Angriff genommen wird. FNGF organisiert darüber hinaus Umfragen bei den Gästen und legt Entwicklungsstrategien fest. Die Finanzierung erfolgt durch Beiträge der Mitglieder (1995: 111 Francs pro Einrichtung), den Verkauf der Kataloge und Subventionen.
Die Organisation mit Sitz in Paris, 95 Filialen in den Departements und 4 Büros im Ausland (London, Frankfurt/Main, Amsterdam, Kopenhagen) zählt zu Frankreichs bedeutendsten Vermittlungen von Ferienunterkünften. Einige Zahlen aus dem Jahr 1994 (GITES DE FRANCE, 1995), die die ökonomische und touristische Bedeutung von Gîtes de France illustrieren:
• 2 Millionen Gäste davon 30% Ausländer, 28 Millionen Übernachtungen
• direkte Einnahmen: 835 Millionen Francs
• Ausgaben der Gäste von Gîtes de France: 2,5 Milliarden Francs davon 835 Millionen aus eingetauschten Devisen
Während die Organisation Gîtes de France nach ihrer Gründung zunächst nur aktive Landwirte unterstützte, wurden sukzessive in den einzelnen Departements auch Einrichtungen von Nichtlandwirten im ländlichen Raum gefördert. Von den 48.813 Einrichtungen von Gîtes de France gehören heute etwa 20.000 (entspr. etwa 41%) Landwirten. Die Auswahl der Beispiele im Kapitel 2 betrifft jedoch nur Landwirte.


Die kontinuierliche Zunahme nach der Gründung von Gîtes de France verstärkte sich 1978 bis 1983: innerhalb von 5 Jahren wurde ein durchschnittlicher Zuwachs von 2660 Einrichtungen erreicht. 25 Jahre nach ihrer Gründung hatte sich die Organisation zu einem anerkannten und rentablen Unternehmen entwickelt, das viele neue Anhänger fand. Zwei weitere Ursachen förderten Entwicklung in diesem Zeitraum: Zunächst war dies die zunehmende Automobilisierung der Gesellschaft, die einen allgemeinen Aufschwung für die Reisetätigkeit bewirkte und somit auch die Rentabilität touristischer Unterkünfte verbesserte. Auch die im allgemeinen kaum mittels öffentlicher Verkehrsmittel zu erreichenden Bauernhöfe profitierten davon. Zum anderen wurden durch die Modernisierung der landwirtschaftlichen Produktionsverfahren (z.B. Einrichtung von Silos, stapelbare Heuballen, Futterkonservierung mittels Folien) alte Speichergebäude überflüssig. Diese boten sich zusätzlich zum Ausbau als touristische Unterkünfte an. Im gleichen Zeitraum ist eine zunehmende Diversifizierung der Arten der betreuten Einrichtungen zu verzeichnen, die sich in den achtziger und neunziger Jahren noch verstärkte.
Die im 2. Teil dieser Arbeit vorgestellten Landwirte gaben folgende Gründe für den Beitritt zu Gîte de France an:
• Beanspruchen der Subventionen, die durch die departementalen Geschäftsstellen organisiert werden; diese Geschäftsstellen befinden sich meist in den Landwirtschaftskammern - den Ansprechpartnern für die weiteren Belange der Betriebe.
• Zuspruch des anerkannten Markenzeichens Gîtes de France
• Profitieren von der Öffentlichkeitsarbeit der Organisation, Präsenz in den Katalogen, Beanspruchung des Reservationsservice
• Beratung durch erfahrene Funktionäre für den Beginn einer neuen, unbekannten Aktivität
• Beitritt zu einer erfolgreichen und mitgliederstarken Organisation
Gîtes de France repräsentiert somit einen bedeutenden Anteil des organisierten französischen Agrotourismus. Es kann verallgemeinert werden, daß für die Landwirte unter touristische Aktivität fast automatisch die Einrichtung einer der verschiedenen Formeln von Gîtes de France verstanden wird. Bezeichnend hierfür ist die Anwendung des zunächst allgemeinen Begriffes „Gîte rural“ als Markenname für die entsprechenden Einrichtungen der Organisation.
Die bedeutendste Ebene in der Hierarchie der Organisation sind die Filialen in den Departements. Die Filialen sind ausführende Organe der nationalen Organisation und vermitteln zwischen der departementalen Verwaltung und den Besitzern der Einrichtungen. Sie ermöglichen ein konzertiertes Vorgehen bei der Integrierung des Agrotourismus in Raumplanung und Gesamttourismus. Die einzelnen Einrichtungen können somit Teil eines regional abgestimmten Tourismuskonzeptes werden. Weiterhin können von den Filialen die Bereitstellung der Gelder für die Finanzierung von Neueinrichtungen und Maßnahmen einer tourismusorientierten Raumordnung organisiert werden. Sonstige Funktionen werden anhand des Departements Calvados im Abschnitt 2 der Arbeit dargestellt.
1.2.2 Von Gîtes de France betreute agrotouristische Einrichtungen
1.2.2.1 Gîte rural
Der Begriff ist wörtlich etwa mit «ländliche Unterkunft» zu übersetzten und existiert seit etwa 100 Jahren (MULLER, 1991). Er galt zunächst allgemein für Gastunterkünfte im ländlichen Raum, die von einem Besitzer meist durch Umwandlung existierender Gebäude oder Gebäudeteile hergerichtet wurden. Seit ihrer Gründung beansprucht die FNGF den Titel „Gîte rural“ für jene Einrichtungen ihrer Mitglieder, die den hierfür definierten Kriterien entsprechen (siehe Anlage 5). Der Eigentümer kann eine Privatperson oder eine Gemeinde sein, im Departement Calvados entschied der Departementalrat (Conseil Général) auch finanzielle Hilfen für Nicht-Landwirte zu gewähren. In der Region Basse-Normandie waren 1989 nur 40% der Besitzer eines Gîte rural aktive Landwirte (MULLER, 1991). Die Gîtes ruraux besitzen Möglichkeiten zur Selbstversorgung der Gäste, und werden in der Regel für eine, seltener für zwei Wochen (Sonnabend 16 Uhr bis Sonnabend 10 Uhr) oder für ein Wochenende vermietet. Die durchschnittliche Kapazität beträgt im Departement Calvados 5-6 Plätze (MULLER, 1991).
Die Gîtes ruraux sind die bedeutendste Form des Agrotourismus. Dies begründet sich zunächst durch ihre Anzahl: 1994 gehörten 40 367 zur FNGF (GITES DE FRANCE, 1994 b), dies entspricht 82% der von dieser Organisation betreuten Einzeleinrichtungen. Weiterhin handelt es sich um die Anlage, die bedeutende Investitionen erfordert: Um den von Gîtes de France festgelegten Normen zu entsprechen (siehe Anlage 5), muß ein ganzes Gebäude oder ein selbständiger, mit eigenem Eingang versehener Gebäudeteil alle Wohnfunktionen erfüllen (sanitären Einrichtungen, Küche, Wohnzimmer und Schlafraum, Heizung). Daneben sollen Bauweise, Fassadengestaltung und Einrichtung für die jeweilig Region typisch sein. Die Einrichtung eines Gîte rural kostete 1996 durchschnittlich 250.000 - 300.000 F (entspr.: 75.000-90.000DM) (TACET, 97).
Der Zustand des Gîte wird jährlich von einer Kommission kontrolliert, wobei eine Einstufung in vier Kategorien erfolgt und der Mietpreis festgelegt wird. Daraufhin erscheint der Gîte in den nationalen und departementalen Katalogen von Gîtes de France. Beispielbetriebe mit Gîtes ruraux werden unter 2.2.2.1, -.2 und -.3 vorgestellt.
1.2.2.2 Chambre d’Hôte
Diese Formel des französischen Agrotourismus, kann mit Fremdenzimmer übersetzt werden und entspricht dem englischen „bed and breakfast“. Im ländlichen Raum wird den Gästen also eine Schlafzimmer zur Verfügung gestellt und ein Frühstück serviert.
1994 trugen 5746 Einrichtungen, die insgesamt 15956 Zimmer anboten (GITES DE FRANCE, 1994 b), diesen Titel. Es werden ähnliche Anforderungen wie an die Gîtes ruraux gestellt, zusätzlich geprüft wird die Qualität und das Servieren des Frühstücks. Die Investitionen sind geringer als für einen Gîte rural, gefordert wird jedoch täglich persönliches Engagement des Gastgebers. (Beispiele unter Punkt 2.2.2.3)
1.2.2.3 Ferme-Auberge und Auberge du Terroir
Die Fermes-Auberge stellen eine direkte Verbindung zwischen Tourismus und landwirtschaftlicher Produktion dar (Bsp. im Abschnitt 2.2.2.4). Es handelt sich um eine halböffentliche Gaststätte, für deren Besuch in der Regel eine Reservierung und die Bestellung einer bestimmten Anzahl von Gerichten notwendig ist. Zum Tragen des Titels ist die Erfüllung bestimmter Kriterien notwendig (Anlage 6, GITES DE FRANCE CALVADOS, 1992): Sie muß sich auf einen Bauernhof oder in zu genehmigenden Ausnahmen in dessen Nähe befinden und von aktiven Landwirten betrieben werden. Die architektonische Gestaltung der Gebäude muß dem regionalen Stil entsprechen, die Innenausstattung soll ebenfalls der ländlichen Tradition entsprechen und wenn möglich mit landwirtschaftlichen oder handwerklichen Objekten dekoriert sein. Der Gastbetrieb darf nur unter Anwesenheit eines Mitgliedes der Familie des Landwirtes erfolgen, ein familiärer Empfang ist anzustreben, das Interesse der Kundschaft bezüglich des landwirtschaftlichen Betriebes ist durch Auskünfte oder Dokumente zufriedenzustellen.
Angeboten werden Gerichte deren Hauptbestandteil aus Produkten des eigenen Betriebes besteht und die nach traditionellen regionalen Rezepten zubereitet werden. Den Gästen ist, wenn gewünscht, Auskunft über deren Herkunft zu geben.
Die Einrichtung muß den für die Gastronomie geltenden hygienischen und baulichen Bestimmungen genügen. Die Einkünfte unterliegen dem Mehrwertsteuergesetz.
Im Unterschied zur Ferme-Auberge muß die Auberge du Terroir nicht zu einem landwirtschaftlichen Betrieb gehören aber Produkte der regionalen Landwirtschaft anbieten. Beide Einrichtungen können Fördermittel beanspruchen (siehe Abschnitt 2.2.2.4). Die Kontrollen der Einhaltung der zum Tragen der beiden Titel berechtigenden Bestimmungen müssen durch die Betreiber zugelassen werden.
1.2.2.4 Camping à la Ferme
Ein Campingplatz auf einem Bauernhof oder in einer ländlichen Gemeinde darf diesen Titel tragen, wenn er höchstens sechs Plätze auf mindestens 300 m² für Zelte oder Wohnwagen anbietet und über sanitäre Einrichtungen in einem nahegelegen Gebäude verfügt. Die Formel Aire naturelle de Camping darf 25 Plätze anbieten. 1000 Einrichtungen trugen 1994 diese Titel.
1.2.2.5 Gîtes d’Etape et de Groupe
Es handelt sich bei diesen Einrichtungen um Schlafsäle mit entsprechenden hygienischen Einrichtungen, die sich meist in der Nähe bedeutender Wanderrouten befinden. Sie bieten somit Wanderern zu Fuß, zu Pferd oder per Rad eine preiswerte Übernachtungsmöglichkeit und zum Teil Boxen zur Unterbringung von Pferden. Anzahl 1994: 1200.
1.2.2.6 Weitere Formen
• Gîtes d’Enfants: Eine Bauernfamilie betreut Gruppen von 6-13jährigen Kindern während der Ferien und macht sie mit dem Leben auf dem Bauernhof vertraut. Die Betreuer bedürfen einer besonderen pädagogischen Bestätigung für die Betreibung einer solchen Einrichtung.
• Gîte de Mer: Ein Gîte rural in Meeresnähe.
• Gîte Equestre: In der Regel ein Bauernhof mit einem Gîte rural und der Möglichkeit zum Reitsport (Bsp. 2.2.2.3).
• Gîtes Loisirs: bieten verschieden Freizeitaktivitäten wie Angeln, Radfahren, Ski, Bogenschießen, Töpfern, Schnitzen
• Gîtes Panda: befinden sich in der Nähe eines Naturparks und bietet Möglichkeiten zu dessen Erkundung.
1.3 Erwartungen der Besucher bezüglich agrotouristischer Einrichtungen
Welche Hochachtung die Landwirtschaft auch in den Städten Frankreichs genießt, verdeutlicht nach Meinung des Verfassers eine Feststellung des Journalisten Fredy GSTEIGER (1997): „Denn «das Land» ist oft anderswo als wir es vermuten. Zum Beispiel auf der jährlichen Landwirtschaftsmesse. Das Ereignis begeistert weit mehr Bürger als prestigeträchtige Höhepunkte des Pariser Veranstaltungskalenders wie Opernpremieren, Modefilees oder der Rüstungsbasar. ... 400 Sorten Käse, 160 Sorten Honig, 130 Sorten Oliven und 10000 Weine werden den 540000 Besuchern präsentiert. Mit knapp einer Million Landwirten ist Frankreich kein Bauernstaat mehr. Ein bäuerliches Land bleibt es. Dem terroir, der Scholle, huldigt dieses Volk, wie die Deutschen dem Wald.“ Diese allgemeine Wertschätzung der ländlichen Lebensweise betrachtet LEGEARD (1976) als eine Grundlage, die es dem Agrotourismus ermögliche, sich als Kontrast zum anonymen Massentourismus und hektischen Stadtleben zu behaupten. Besonders die persönlichen Kontakte mit den Gastgebern ermöglichten ein besseres Kennenlernen der Gegend und der Landwirtschaft. Verbunden mit dem Wunsch, zu Natur und sauberer Luft zurückzukehren, würde so der Dialog Stadt-Land gefördert und damit gegenseitige Achtung und besseres Verständnis. Die Gäste würden als Teil des Landlebens akzeptiert. Sie genössen die Freiheit, ihre Ferien selbst zu organisieren, sind aber nicht isoliert. Durch diese Kontakte könne gleichzeitig Achtung der bäuerlichen Arbeit und Erzeugnisse aufgebaut werden. LEGEARD weist in seiner Arbeit aber auch auf ein Problem hin: Touristen können in ländlichen Gemeinden auch als Störung empfunden werden, oft seien es deshalb Handwerker und Händler und nicht Bauern, die am Tourismus interessiert sind. Nach Meinung des Verfassers hat sich diese reservierte Haltung der französischen Landwirte jedoch geändert, die Anwesenheit von Touristen wird in den neunziger Jahren auch von ihnen als Aufwertung betrachtet. Ursache für die Wahl eines Urlaubs auf dem Bauernhof kann nach LEGEARD sowohl eine geringes Budget als auch die Suche nach Ruhe, Natur und Individualität sein. Er machte 1976 folgende Erhebung bezüglich der Gäste von Gîtes ruraux im Departement Calvados (prozentualer Anteil der Berufsgruppen):
Lehrer 14,4
Ingenieure, mittlere Kader 13,6
Arbeiter, Angestellte 19,2
Ingenieure, höhere Kader 13,2
freie Berufe 7,6
Handwerker, Händler 5,6
Händler 6,4
Eine aktuellere Erhebung von BARBE (1991), bei der 222 Familien berücksichtigt wurden, die im normannischen Departement Manche ihren Urlaub verbrachten, ergab folgendes Bild:
Gîtes ruraux: Chambres d’Hôtes:
Landwirte 7% Landwirte 7%
Händler, Handwerker 7% Händler, Handwerker 10%
höhere Kader 22% freie Berufe, höhere Kader 22%
mittlere Kader 17% Funktionäre, Lehrkräfte 19%
Angestellte 14% Arbeiter, Angestellte 18%
Arbeiter 17% Rentner 15%
Rentner 16% Studenten 9%

Daraus kann abgeleitet werden, daß die Gäste der untersuchten agrotouristischen Einrichtungen den verschiedensten sozialen Gruppen angehören. Auffallend ist der relativ hohe Anteil von 40%, den dabei höhere und mittlere Angestellte ausmachen. Von ihnen können hohe Ansprüche zum einen bezüglich der Möglichkeiten, die Region kennenzulernen zum anderen bezüglich der Qualität von Umwelt und Originalität erwartet werden. Diese Ansprüche sind für den Agrotourismus und den ländlichen Raum Chance und Verpflichtung zugleich.
CLARY (1991) beschreibt in der Entwicklung des Agrotourismus in Frankreich drei Generationen, in denen sich auch die steigenden Ansprüche der Gäste widerspiegeln:
1. Bis zum Zweiten Weltkrieg: die Nutzung von Zweitwohnungen auf dem Lande.
2. Die organisierte Förderung des Agrotourismus mit der Gründung von Gîtes de France, besonders höhere Angestellte, Lehrer, Ingenieure nutzen die Gîtes ruraux.
3. Ab den achtziger Jahren: die ländliche Originalität ist zwar Voraussetzung, reicht allein aber nicht mehr aus - Touristen fordern regional identische Unterkünfte und Dörfer mit einer lebendigen Struktur aus Tradition, Handwerk, eine abwechslungsreiche Unterhaltung und eine ungestörte Umwelt.

Die heutigen touristischen Bedürfnisse sind nach Meinung des Verfassers durch zwei wesentliche Erscheinungen charakterisiert:
• besonders Jugendliche suchen ständig wechselnde z.T. extreme Sportmöglichkeiten wie Mountainbike, Gleitschirm- und Drachenfliegen, Snowbord, Rafting, den Besuch aufwendig eingerichtete Erlebnisbäder, und seit der jüngsten Vergangenheit ist besonders in den französischen Alpen Canyoning - eine Mischung aus Schwimmen und Bergsteigen sehr beliebt. Das Vorhandensein von Bergen und/oder Wasser ist meist Voraussetzung. Der Agrotourismus kann diesen Ansprüchen nur dann zum Teil entgegenkommen, wenn sich entsprechende Voraussetzungen in der Umgebung finden.
• das Bedürfnis, den Urlaub zum Bildungs- und Kulturerlebnis zu machen wie auch andere Lebensweisen und „Land und Leute“ kennenzulernen. Dieses kann um so besser geschehen, wenn die Region vielfältige und aufeinander abgestimmte Möglichkeiten bietet, dem Besucher ihr Wesen zu erschließen. Eine touristisch erlebbare Darbietung der Besonderheiten wird besonders anschaulich, wenn durch verschiedenen Aspekte (Landschaft, Natur, Handwerk, Landwirtschaft, Küche, Tradition, Architektur, Geschichte, Feierlichkeiten, Freizeitaktivitäten) und ihre lebendigen Wechselwirkungen ein charakteristischer und harmonischer Gesamteindruck vermittelt werden kann, der nicht durch störende Elemente getrübt wird. Mit wachsendem Interesse für ökologische Belange spielt auch die Möglichkeit zum Entdecken besonderer Tier- und Pflanzenarten oder Lebensgemeinschaften eine bedeutende Rolle, Naturparks bieten dazu Gelegenheit. Auch das Erlernen von Fähigkeiten wie Töpfern oder Schnitzen erfreut sich großer Beliebtheit. Der Gast fühlt sich so durch neue, intensive Eindrücke und Erfahrungen bereichert, die er in Erinnerung behält und weitergeben kann.
In der Entwicklung der Einrichtungen von Gîtes de France spiegelt sich der Trend der dritten Generation wieder und besonders die im zweiten Punkt genannten modernen Bedürfnisse können zunehmend befriedigt werden: mit den Auberges d Terroir und Fermes-Auberges werden kulinarische Traditionen gepflegt, die Gîtes Loisirs bieten organisierte Freizeitaktivitäten und Kurse an, die Gîtes Panda ermöglichen die Entdeckung von Naturparks.
Im zweiten Teil der Arbeit soll untersucht werden, inwieweit die spezifischen Gegebenheiten des Departements Calvados den dargelegten Erwartungen gerecht werden bzw. welche Mittel Gîtes de France und die departementalen Behörden zur Entwicklung des agrotouristischen Angebots nutzen. Es soll auch eingeschätzt werden, welche Rückwirkungen diese Förderung des Agrotourismus auf den ländlichen Raum hat.
2 Der Agrotourismus im Departement Calvados
2.1 Vorstellung des Departements
2.1.1 Geschichte
Der Name des Departements stammt von den felsigen Klippen vor dessen Küste, den «Rochers du Calvados», die wiederum nach einen 1588 dort aufgelaufenen Schiff der spanischen Armada, «El Calvador», benannt wurden.
Früheste geschichtliche Zeugen wie Ganggräber und Menhire zeugen im Departement von ersten menschlichen Siedlungen in der Altsteinzeit. Die zur Zeit des Römischen Reiches begonnene Christianisierung der ansässigen keltischen Stämme wurde durch die merowingischen Könige verstärkt. Die Städte Caen, Lisieux und Evreux sind römische Stadtgründungen. Durch Erbteilung entstand etwa fünfzig Jahre nach dem Tode des Merowingerkönigs Clodwig I. (511) das die heutige Normandie umfassende nordfränkische Reich Neustrien mit Paris als Hauptstadt. Mehrere Plünderungen von der See und über die Flußläufe kündigten das Expansionsbestreben der nordgermanischen Stämme gegen Ende des ersten Jahrtausends an. Mit der Ernennung des Norwegers Rollo zum ersten Herzog der Normandie im Jahre 911 wurde die Herrschaft der Normannen in der Region gefestigt. Die Ostgrenze dieses Herzogtums ist mit der heutigen identisch, und mit der Einverleibung der Halbinsel Cotentin unter der Herrschaft Rollos und seiner Erben, wurden schon im 10.Jh ungefähr die Grenzen der heutigen Normandie festgelegt.
Verbunden mit dem Departement Calvados ist besonders der Name Wilhelm des Eroberers (1027-1087), König von England und Herzog der Normandie. Der normannische Herrscher verlagerte den Herzogssitz von Falaise nach Caen und ließ dort das Schloß und zwei Klöster, die Herrenabtei (Abbay aux Hommes) und die Damenabtei (Abbay aux Dames) bauen. Wilhelm erstritt sich nach der Überquerung des Ärmelkanals in der Schlacht von Hastings 1066 die englische Königswürde. Die Ursachen, die Vorbereitung und der Verlauf dieser Schlacht sind eindrucksvoll als Bildergeschichte mit lateinischen Erläuterungen auf den 70m langen Teppich von Bayeux dargestellt. Dieses einzigartige Kunstwerk, eigentlich kein gewebter Teppich sondern eine Stickerei, ist ein bedeutender Touristenmagnet, besonders für angelsächsische Gäste.
In Folge des Hundertjährigen Krieges wurde die Normandie 1468 zum untrennbaren Teil des französischen Königreiches erklärt.
Mit der französischen Revolution entstand das Departement Calvados, der Sitz der Präfektur wurde 1800 die Stadt Caen.
Die Bedeutung der Calvadosküste als Gegenüber Englands auf dem Kontinent manifestierte sich ein weiteres Mal während der Alliiertenlandung am 6. Juni 1944. Die Code-Namen der damaligen Landeoperationen sind heute die geographischen Namen (z.B. Omaha-Beach) einzelner Küstenregionen. Die heute noch zahlreich existierenden Befestigungsanlagen, der künstliche Landungshafen von Arromanches, sowie zahlreiche Soldatenfriedhöfe und Museen sind anschauliche und vielbesuchte Zeugnisse dieser Tage.
Nach dem Krieg wurden zwecks einer effektiveren Verwaltung die administrativen Regionen, mit einem Regionalrat (Conseil Régional) als Regierung, geschaffen. Die drei Departements Manche, Orne und Calvados bilden die Region Basse-Normandie mit Caen als Sitz des Regionalrates.
2.1.2 Geographie

Das Departement Calvados an der französischen Ärmelkanalküste hat eine Fläche von 5604,54 km² auf der 705 Kommunen in 49 Kantonen und 4 Arrondissements (Caen, Bayeux, Lisieux, Vire) verteilt sind. Die Verwaltung des Departements erfolgt durch den Conseil général (Departementalrat). Die größte Ost-West Ausdehnung beträgt 107 km während die größte Nord-Süd Entfernung im Departement nur 66 km beträgt.
Abbildung 1: Lage und Verkehrsanbindung des Departements Calvados und der beiden Regionen Basse- und Haute-Normandie ,( nach GITES DE FRANCE CALVADOS 1995 b)
50-Manche: Departements mit administrativer Kennzahl
Städtenamen in weißen Ellipsen: nahegelegene Ballungszentren
BRETAGNE : an Basse- und Haute-Normandie grenzende administrative Regionen
R.N.: Nationalstrassen
gepunktete Linien: Bahnverbindungen
Die 420 km lange Departementsgrenze umfaßt folgende Abschnitte:
• im Norden: 115 km der Ärmelkanalküste zwischen den Mündungen der Flüsse Vire und Seine
• im Osten: das Departement Eure der Region Haute-Normandie
• im Süden: das Departement Orne und auf 30 km das Departement Manche
• im Westen: das Departement Manche
Der geologische Untergrund ist durch eine markante Grenze geteilt, die von der nordwestlichen Ecke bis zur Stadt Falaise an der südlichen Departementsgrenze in herzynischer Streichrichtung verläuft. Zwei Zonen werden durch sie getrennt:
1. Südwestliche Zone des Departements:
Diese Zone gehört wie die Bretagne zum präkambrischen Armorikanischen Gebirgsrumpf (Massif armoricain) und besteht aus W-O verlaufenden Hügelketten aus Granit und metamorphen Gestein (Schiefern), deren durchschnittliche Höhe zwischen 250 und 360m liegt, der Mont-Pinçon bildet mit 365m den höchsten Punkt des Departements. Die Heckenlandschaft, die für den normannischen Teil dieser geologischen Struktur charakteristisch ist, wird als Bocage normand bezeichnet, im Departement wiederum ist die Bocage in drei Regionen geteilt: die Bocage virois, die Normannische Schweiz und die Pré-Bocage (siehe Abschnitt 2.1.4.2 und Anlagen 1 und 3). Die Hügelketten werden im rechten Winkel von Flußtälern durchschnitten, die von Süden nach Norden verlaufen. Im Westen ist dies der Fluß Vire. Das Flußsystem der Orne hat im östlichen Ausläufer des Armorikanischen Gebirgsstockes durch seine Erosionstätigkeit eine kontrastreiche Region geschaffen: die Normannische Schweiz (la Suisse Normande). Vereinzelte, abgerundete Gipfel und tiefe, vielgestaltige Täler verleihen der Normannischen Schweiz Mittelgebirgscharakter. Die Orne durchzieht sie in harmonischen Mäandern, deren Prallhänge teilweise bis zu 200m hohen Felswänden sind.
2. Nordöstlicher Teil des Departements
Geologisch zum Pariser Becken gehörend besteht der Untergrund aus mesozoischen Schichten (Jura, Kreide) und quartären Ablagerungen. Im Westen schließt sich nördlich an die Bocage der Bessin an: eine Ebene mit vereinzelten Hügeln, Höhe 60-100m. Östlich davon folgt die Ebene von Caen und Falaise, die sich bis zur Südgrenze des Departements erstreckt. Ausgehend von einer durchschnittliche Höhe von 60m im Norden, steigt die Ebene allmählich an und erreicht im Süden 206m. Der in der Umgebung von Caen zu findende blaßockerfarbene Kalksandstein, «la Pierre de Caen», hat die Bauweise in der Stadt geprägt und wurde während der Herrschaft Wilhelms des Eroberers über den Kanal transportiert und zum Bau des Towers in London verwendet. Er besitzt gute statische Eigenschaften und läßt sich leicht bearbeiten, bezeichnend dafür ist das Sprichwort «Der Caennaiser Kalkstein läßt sich schnitzen wie Holz und ist hart wie Granit». Die meisten historischen Bauwerke der Stadt (Schloß, Kirchen) sind aus diesem Material gebaut, das aber auch noch heute häufig Verwendung findet.
Bis zur östlichen Departementsgrenze folgt das wieder von stärkeren Reliefunterschieden geprägte Plateau des Pays d’Auge, dessen mittlere Höhe bei 150m liegt aber auch 220m werden im Süden erreicht. Jurassische Sedimente im Westen werden durch kretazische im Osten abgelöst.
Bevölkerung (Zahlenangaben nach MILERON, 1991)
1990 wurden im Departement 618 258 Einwohner gezählt, die Bevölkerungsdichte betrug 113 Einwohner/km² (Basse-Normandie:80, Frankreich:105). Im Zeitraum 1982-1990 betrug die Mortalität 8,8/1000 und die Natalität 14,7/1000 der Migrationssaldo betrug +738, die Bevölkerungszahl wuchs um 29 170 Personen. 62% der Bevölkerung lebten in 41 Städten, ein Drittel der Gesamtbevölkerung im Großraum Caen.
Caen 112 872 Vire 12 903
Großraum Caen 191 505 Honfleur 9 000
Lisieux 23 778 Falaise 8 130
Bayeux 14 733 Condé/Noireau 6 315
Die Bevölkerungsdichte ist am höchsten in den Regionen um Caen, Bayeux und Lisieux und entlang der Küste. Die niedrigste Dichte ist, abgesehen von der Stadt Vire und ihrer näheren Umgebung, im westlichen Teil des Departements anzutreffen.
Der ländliche Bevölkerungsanteil bewohnt 664 Dörfer, die sich im wesentlichen im südlichen und westlichen Drittel des Departements befinden. Diese Region ist von einer starken Abwanderung betroffen, während der Großraum Caen und die Städte Bayeux und Lisieux wie auch die Küstenregion von einer bedeutenden Zuwanderung profitieren. Zu der Region Bocage im Südwesten des Departements stellte ANDRE (1993) fest, daß die abnehmende Bevölkerungszahl das direkte Resultat der Schwierigkeiten der Landwirtschaft und bestimmter Industriezweige sei. Es soll anhand der Beispiele im Abschnitt 2.2 untersucht werden, ob der Agrotourismus der Abwanderung in dieser Region entgegenwirken kann.
2.1.3 Die Landwirtschaft im Departement
Während im 18. Jahrhundert noch der Getreideanbau dominierte, erfolgte danach ein Aufschwung der Milch- und Rindfleischproduktion. Der Bedarf an diesen Erzeugnissen im wachsenden Paris sorgte für einen profitablen Absatz. Der Pays d’Auge wurde berühmt für seine Käse und der Bessin für die Butter. Die im Departement produzierten Käsesorten Livarot und Pont l’Evêque sowie die Marken «President» und «Cœur de Lion» für Butter und Camembert sind in ganz Frankreich geschätzt und illustrieren so die Bedeutung der normannischen Milchwirtschaft. Mit der Umwandlung der Ackerflächen in Dauergrünland erfolgte gleichzeitig die Anpflanzung von hochstämmigen Apfel- und Birnbäumen auf diesen Weideflächen, besonders denen des Pays d’Auge (GOURMELEN, 1994). Die Obstbaumwiesen bereichern auch heute noch die Landschaft. Der aus Apfelsaft erzeugte moussierende, leicht alkoholische (2-6 Vol%) Cidre und der daraus gebrannte Calvados erfreuten sich im 19. und besonders in der ersten Hälfte des 20.Jh. großer Beliebtheit und sorgt für ein zusätzliches Einkommen der Bauernhöfe. Nach CALMES (1995) ging aber die Cidreerzeugung im Gebiet der Basse-Normandie von 18 Millionen Hektolitern im Jahre 1900 auf 1 Millionen Hektoliter 1984 zurück. Heute betreiben die meisten landwirtschaftlichen Betriebe im Departement die Cidreherstellung für den Eigenbedarf und teilweise für den Verkauf. Fahrbare Anlagen (Traktorenanhänger mit zapfwellengetriebener Hydraulikpresse) bedienen im Herbst die Bauernhöfe und erledigen das Pressen des Saftes, der auf den Hof in Fässern vergoren wird.
Die Milchproduktion ist auch heute noch der dominierende Zweig der departementalen Landwirtschaft, 1995 gab es 4121 Milchproduzenten von denen 36% im Arrondissement Vire (Bocage, Südwesten des Dep.) zu finden sind. Vire erhielt 1950 den Titel «Französische Hauptstadt der Butter». Neben der Bocage sind der Bessin und der Pays d’Auge für die Milchproduktion berühmt. In der Ebene von Caen und Falaise ist dagegen der Getreideanbau vorherrschend.
Tabelle 2 Erlöse aus landwirtschaftlicher Produktion im Departement Calvados 1993 (CHAMBRE D’AGRICULTURE DU CALVADOS, 1994)
Tierische
Erzeugnisse 72% Pflanzliche
Erzeugnisse 28%
davon:-Milch 38%
-Fleisch 30%
-versch: 4% davon:-Getreide 10%
-versch. 18%
Tabelle 3 Bodennutzung in Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LONGEAUX, 1994)
Nutzung 1979 1988 1993
Getreide
Indstriekulturen
Leguminosen
GESAMT 20
4
1
25 21
4
5
30 20
3
8
31
Flächenstillegung - - 5
Futterkulturen
Dauergrünland 12
63 12
57 15
48
Der Dauergrünlandanteil verringert sich jedoch 1994 auf 42,7%, die Anteile von Leguminosen und Silomais als Futterkultur steigen.
Einige Zahlen zur Entwicklung von 1988 bis 1993 (LONGEAUX,1994):
• Verlust von jährlich 450 Betrieben, (entspricht einer Verringerung um 3,9%)
• Verringerung der landwirtschaftlich genutzten Fläche um jährliche 6000 ha
• Anstieg der durchschnittlichen Betriebsgröße von 30,8 auf 37,1 ha
• Anstieg des Anteils von Betrieben mit weniger als 5 ha: 21% auf 27%
• Ende 1993 lebten oder arbeiteten 32.600 Personen in landwirtschaftlichen Betrieben diese Zahl verringerte sich jährlich um 4,5%
• Durchschnittsalter der Betriebsbesitzer 1993: 51 Jahre
• 1993 verringerte sich das Bruttoeinkommen der Betriebe um 13,1%
Angesichts dieser Entwicklung (Überalterung und Betriebsaufgabe) erfolgt eine zunehmende Entvölkerung dünnbesiedelten Raumes, besonders die für den Südwesten des Departements typischen Einzelgehöfte werden verlassen. Damit ist ein Verlust von teilweise historisch bedeutenden Gebäuden, die einer Unterhaltung bedürfen, verbunden und die pflegebedürftige Kulturlandschaft Bocage normande droht zu verwildern.
Anhand der Beispielbetriebe im Punkt 2.2 soll abgeschätzt werden, welche Möglichkeiten der Agrotourismus zur Lösung der Probleme der Landwirtschaft bieten kann. Zur Beurteilungung dieses Potentials wurden deshalb Betriebe herangezogen, in denen die agrotouristische Aktivität in einem jeweils anderen Verhältnis zur landwirtschaftlichen Aktivität steht.
2.1.4 Tourismus im Departement
2.1.4.1 Allgemeines
Es können folgende touristische Schwerpunkte im Departement unterschieden werden:
1. Der Seebäder an der Calvadosküste.
2. Die geschichtlichen Zeugnisse aus der Zeit Wilhelm des Eroberers.
3. Die Stätten der Alliiertenlandung 1944.
4. Die Landschaft und die traditionsreiche bäuerliche Kultur des Binnenlandes.
2.1.4.2 Touristische Ziele
Eine Vielzahl landschaftlich reizvoller, kulturell und historisch bedeutender Anziehungspunkte verleihen dem Departement eine besondere touristische Attraktivität. Vom Departementalrat wird eine Unterscheidung von 5 touristischen Zonen (siehe Anlage1), die nicht immer mit den geographischen Bezeichnungen übereinstimmen, angewendet (GITES DE FRANCE CALVADOS, 1994):
1. Der Bessin im Nordwesten. Die Stadt Bayeux als Zentrum bietet mit ihrer gotischen Kathedrale, dem Museum «Teppich von Bayeux» und weiteren Museen einige der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten. Das umgebende Binnenland ist von Wiesen und Weiden geprägt. Historisch bedeutsame befestigte Bauernhöfe (fermes fortifiées), Herrenhäuser (manoirs) und zahlreiche Schlösser (Fontaine Henry, Creully, Balleroy, Colombieres...) bereichern diese Region. Im Nordwesten, im Tal des Grenzflusses Vire, beginnt der Naturpark der Moore des Cotentien und des Bessin (Parc des Marais du Cotentin et du Bessin). An der Bessinküste fand das blutigste der fünf Landungsunternehmen (UTAH, OMAHA, GOLD, JUNO, SWORD) des 6. Juni 1944 statt: die Operation OMAHA. Der Soldatenfriedhof Omaha-Beach, auf dem 9000 amerikanische Soldaten beigesetzt sind, hat jährlich weit über eine Millionen Besucher und ist somit der von Touristen am stärksten frequentierte Ort des Departements. Weitere bauliche Zeugen des Zweiten Weltkrieges wie die Reste des provisorischen Kriegshafens bei Arromanches, die Artilleriestellungen von Longes-sur-Mer sowie andere Verteidigungsanlagen und Dokumentationszentren, wie das Rundkino von Arromanches, wo Originalaufnahmen des Kriegsgeschehens vorgeführt werden, ziehen geschichtlich interessierte Touristen an. Die Küste des Bessin besteht fast ausschließlich aus Sandstränden, die zahlreichen Hotels, Gaststätten und Feriensiedlungen profitieren von einem regen Badetourismus.
2. Die Region Pré-Bocage / Bocage im Westen und Südwesten schließt sich südlich an den Bessin an. Die Pré-Bocage im Norden bietet mit der Touristenstraße «Route de Traditions» (siehe Abschnitt 2.2.4) eine Möglichkeit, landwirtschaftliche und handwerkliche Methoden kennenzulernen und Produkte der Region zu erwerben. Auf die ländliche kulinarische Tradition wird dabei besonders Wert gelegt. Als Bocage (franz.: le bocage, abgeleitet aus „le bosquet“-Wäldchen, Baumgruppe) wird nach der Einteilung des Departementalrates der eigentlich um die Stadt Vire gelegene und vom gleichnamigen Fluß entwässerte, Bocage virois genannte Teil der für die südwestlichen Normandie charakteristischen, von der Landwirtschaft geprägten Kulturlandschaft Bocage normand bezeichnet. Die Felder von geringer Größe (etwa 0,5-10 ha), meist Grünland, aber auch Silomais und Getreide werden angebaut, sind von Hecken und Baumreihen begrenzt und es ergibt sich dadurch ein farblich und strukturell vielfältiges charakteristisches Landschaftsbild (siehe Anlage 3). Die touristische Attraktivität wird besonders durch die abwechslungsreiche Hügellandschaft und das Tal des Flusses Vire bewirkt. Verkehrs- und industriearme Landstriche laden zu erholsamen Wanderungen ein. Harmonisch fügt sich die für die Region typische Bauweise aus Granit und Schiefern in die Landschaft ein. Die Landwirtschaft hat auch die Siedlungsstruktur der Gemeinden in der Bocage geprägt: Um das kleine Dorfzentrum (le Bourg) liegen zahlreiche Einzelgehöfte und Weiler in Streusiedlungsform auf dem Gemeindegebiet gleichmäßig verteilt.
3. Der Zoo von Jurques, eine zu besichtigende Miene in der Schiefergestein des Armorikanischen Gebirgsstockes abgebaut wurde («Souterroscope des Ardoisières» in Caumont-l’Evente) und ein am stillgelegten Viadukt von Soulevre eingerichtetes Zentrum für Bungee-Springen wurden zur touristischen Bereicherung eingerichtet. Selbst arm an international bekannten Sehenswürdigkeiten, profitiert die Bocage virois jedoch von deren Vorhandensein in den benachbarten Regionen. Hier sind besonders der Mont Saint Michel, die Stadt St. Malo, die Küste der Alliiertenlandung, die Normannische Schweiz, Bayeux und Caen zu nennen. Somit bietet sich die Region als Ausgangspunkt für Tagesreisen in verschieden Richtungen an. Besonders ausländische Gäste, die eine lange Anreise absolvieren und möglichst viele international bekannte Sehenswürdigkeiten und eine größere Region kennenlernen möchten, bevorzugen deshalb die Bocage, ihr Anteil betrug 1994 in der Bocage virois bei der Reservierung von Gîtes ruraux 47% und 42% für die Chambres d’Hôtes (CALVADOS TOURISME, 1995). Da keine größeren Städte mit entsprechender Hotellerie, dafür aber zahlreiche Bauernhöfe vorhanden sind, stellen letztere das durch die touristisch günstige Lage gefordert Übernachtungspotential dar.
4. Die Ebene von Caen befindet sich im Norden des Departements zwischen dem Bessin und dem Pays d’Auge. Die Stadt Caen prägt des touristische Geschehen dieser Region. Bedeutende Sehenswürdigkeiten wie das Schloß Wilhelm des Eroberers aus dem 11.Jh, auf dessen Gelände sich das Museum der Normandie und das Museum der Schönen Künste befinden; die architektonisch bedeutenden Abteikirche St. Etienne, die romanische und gotische Stilelemente vereinigt und in der Wilhelm der Eroberer beigesetzt ist; die Abbay-aux-Dames und das der Landung der Alliierten und dem Zweiten Weltkrieg gewidmete Museum «Memorial» tragen dazu bei. Trotz der erheblichen Schäden des 2. Weltkrieges existieren noch einige Stadtviertel mit historischer Bausubstanz.
5. Innerhalb der Grenzen der touristischen Region Normannische Schweiz wurden vom Departementalrat die zur Bocage gehörige Normannische Schweiz im Westen und die Ebene um die Stadt Falaise im Osten zusammengefaßt. Erstere bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung. Verschiedene Wassersportarten wie Kanu- und Kajakfahrten, Bergsteigen und Gleitschirmfliegen lassen sich im Ornetal und zwar besonders in der Umgebung der Stadt Clecy, die auch als Hauptstadt der Normannischen Schweiz bezeichnet wird, praktizieren. Um das touristische Angebot der Normannischen Schweiz zu bereichern und eine ganzjährige Unterhaltung sicherzustellen, wurde in der Stadt Thury-Harcourt ein modernes Hallenbad (Centre Aquatique de la Suisse Normande) errichtet. Zahlreiche ausgeschilderte Wanderrouten ermöglichen den Zugang zu beeindruckenden Aussichtspunkten über das Ornetal. Die Stadt Falaise stellt mit dem Schloß, in dem Wilhelm der Eroberer geboren wurde, ein wichtiges touristisches Zentrum dar.
6. Östlich an die Normannische Schweiz und die Ebene von Caen und Falaise schließt sich der Pays d’Auge an, eine Region, die bis zum Flusse Risle im Departement Eure reicht und Teile des Departements Orne umfaßt. Die von der Rinderhaltung und der Cidreherstellung geprägte Hügellandschaft bietet durch ihre landwirtschaftliche Tradition ein interessantes Erholungspotential. Das auf Postkarten und in Prospekten oft zu findende, zu einem Markenzeichen für die Normandie gewordene Bild von unter Apfelbäumen grasenden Normannischen Rindern ist eigentlich für den Pays d’Auge repräsentativ. Im Gegensatz zum westlichen Teil des Departements, wo traditionell mit Granit und Schiefer gebaut wird, dominiert im Pays d’Auge das normannische Fachwerk, ein weiteres als typisch normannisch angesehenes Element, mit zahlreichen eng gesetzten Balken und länglich-schmalen parallelen Fächern, teilweise sind Strohdächer zu finden. Das Dorf Beuvron-en-Auge wurde dank seiner ländlichen Fachwerkhäuser zum touristischen Zentrum. Der Tourismus förderte seinerseits die Erhaltung und Renovierung entsprechender Häuser und selbst die Anwendung dieses Stils, zumindest für die Fassadengestaltung, bei Neubauten. Die touristische Erschließung dieser Region wurde mittels der Route du Cidre (siehe Abschnitt 2.2.4) gefördert. Die Geschichte und Herstellungsverfahren der nach Orten des Pays d’Auge benannten und hier hergestellten Käsesorten Livarot und Pont l’Evêque (mit Camembert, die drei klassischen normannischen Käse) werden im Käsemuseum von St.-Pierre-sur-Dives dargestellt.
Die Stadt Lisieux ist ein Wallfahrtsort der römisch-katholischen Kirche. Jährlich pilgern über eine Millionen Menschen zur 1929 im romano-byzantinischen Stil errichteten Basilika St. Thérèse und zu den in der Kapelle Camel aufbewahrten Reliquien der Heiligen.
Die Nordgrenze des Pays d’Auge bildet die als Côte Fleury bezeichnete Küste, an der sich einige bedeutende Seebäder befinden. Pionierfunktion hatten die Küstenorte Trouville und Deauville, da sie die von Paris aus am schnellsten zu erreichenden Strände sind. Die direkte Bahnverbindung und die Autobahnanbindung der beiden Orte (in weniger als 2 Stunden von Paris zu erreichen) förderten deren Aufstieg und haben aus Deauville das mondänste Seebad der Normandie gemacht. Die Städte Honfleur, Cabourg und Houlgate sind weitere berühmte Badeort der Calvadosküste. Der Tourismus der Seebäder ist die wirtschaftlich bedeutendste Form im Departement, aufgrund des Themas dieser Arbeit soll jedoch nicht weiter darauf eingegangen werden.
Besucherzahlen wichtiger Sehenswürdigkeiten 1994 (CALVADOS TOURISME,1995)
1 US-Soldatenfriedhof Omaha-Beach 2 200 000
2 Basilika von Lisieux 1 200 000
3 Museum MEMORIAL, Caen 619 314
4 Museum Teppich von Bayeux 507 000
5 Museum der Alliiertenlandung Arromanches 480 930
6 Tierpark Herminal les Vaux 212 000
7 Tierpark Jurques 100 000
8 Wassersportzentrum Normannische Schweiz 98 000
9 Museum der Normandie, Caen 75 008
Zu berücksichtigen sind die hiermit nicht erfaßten Besucher der Badestrände und historischen Stadtzentren. Die hohe Besucherzahl des US-Soldatenfriedhofes war zwar wegen der Feierlichkeiten 1994 sehr bedeutend, aber auch 1993 wurden 1 200 000 und 1992 insgesamt 1 350 000 Besucher gezählt.
Bettenzahl+Camping
Hotels: 18.344
Gîtes ruraux und Chambres d’Hôtes: 6.383
Ferienzentren: 5.513
Zweitwohnungen: 292.910
Campingkapazität: 42.582
2.1.4.3 Verkehrsanbindung des Departements
Wie aus Abbildung 1 (S.17) ersichtlich ist, ist das Departement von verschiedenen Ballungszentren umgeben (Einwohnerzahl von 1990 in Klammern):
• das untere Seinetal mit den Städten Rouen (380 161) und Le Havre (253 627)
• Paris, direkt über die Autobahn A 13 zu erreichen (220km Paris-Caen)
• die Stadt Rennes (245 065) ca 140 km, erreichbar über die Nationalstraße 175, die gegenwärtig zur Autobahn ausgebaut wird
• die Ballungszentren Le Mans (140km) (189 107), Tours (220km) (282 152), erreichbar über die RN 158 und Chartres (190km)
1994 nutzten 1.151.524 Passagiere die Fährverbindung Ouistreham-Portsmouth. Über den Flughafen Caen-Carpiquet bestehen Verbindungen mit Le Havre, London, Brüssel, Rennes Lyon, Toulouse, Nizza, Bordeaux, Marseille, Clermont-Ferrand und Montpellier. Der zweite Flughafen des Departements, Deauville-St.-Gadien bietet eine permanente Verbindung mit London und von Juni bis September mit Nizza und der Insel Jersey. Es existieren Bahnverbindungen mit Paris, Cherbourg und Le Mans-Tours.
Die guten Verkehrsverbindungen mit wichtigen Ballungszentren sind eine günstige Voraussetzung für den Tourismus im Departement.
 

 

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