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Bei Wikingern und Wilhelm dem Eroberer - Die Normandie lädt zur Entdeckung ihrer bewegten Geschichte und reichen Kunstschätze ein

Die in Nordfrankreich angesiedelten Wikinger waren im 11.Jahrhundert schon erhafte französische Ritter geworden, doch ihre Freude an neuen Eroberungen zur See erblühte noch einmal unter Herzog Wilhelm (1027-1087). Die in seiner Zeit geschaffenen Bauten und Kunstwerke zählen heute zu den bedeutendsten historischen Sehenswürdigkeiten Frankreichs, und lassen den Besucher den Glanz einer großen Zeit erahnen.

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 Wilhelm der Eroberer, König  von England, Herzog der Normandie, auch „der Bastard“ genannt, schuf im 11.Jh, vor Beginn der Zeit der Kreuzzüge, eines der bestorganisierten Staatswesen des Mittelalters: das Anglo-Normannische Reich. Mit seinem Sieg über den englischen König Harold in der Schlacht von Hastings 1066 krönte er die Eroberungszüge der Wikinger in Westeuropa. Zahlreiche Bauwerke in der Normandie und England, wie z.B. der von ihm gegründete Londoner Tower, sowie schriftliche und bildliche Dokumente zeugen heute von der Bedeutung Wilhelms in der europäischen Geschichte.

Die skandinavischen Eroberer hatten sich im 9.Jh mittels ihrer wendigen Schiffe an der Kanalküste des Frankenreiches und entlang der dortigen Flußläufe einige Gebiete erstritten. Nach zahlreichen Plünderungen der reichen Städte (845 belagerten sie Paris) und friedlicher Landnahme war die Macht soweit gefestigt, daß ihr Führer Rollo vom westfränkischen König Karl dem Einfältigen im Jahre 911 Siedlungsrechte am Unterlauf der Seine zugesprochen bekam. Als Gegenleistung versprach er, weitere Einfälle seiner Landsleute zu verhindern. Das Gebiet wurde nach den Besatzern, den „Männern aus den Norden“, Normandie genannt. Rollo ließ sich taufen, hielt sein Versprechen und wurde erster Herzog der inzwischen französisch sprechenden Normannen. Er und seine Nachfolger vergrößerten das Herzogtum in Richtung Süden und Westen und hegten ansonsten gute Beziehungen zu den französischen Königen.

Bevor Wilhelm die landgreifende Tradition der normannischen Herzöge fortsetzen konnte, mußte er zunächst familiäre Konflikte lösen. Diese ergaben sich aus seiner nicht rein adeligen Abstammung: sein Vater, Herzog Robert der Teufel, soll von seiner heute noch ansehnlichen Burg in der Stadt Falaise eine Gerberstochter beim Wäschewaschen beobachtet haben und davon sehr angetan gewesen sein. Er ließ sich nicht von politischen Bedenken stören und zeugte mit der Bürgerstochter ein Kind: Wilhelm, genannt der Bastard. Diesen hatte der konsequente Robert schon als Nachfolger bestimmt, als er nur sieben Jahre später starb.

Als Wilhelm 1047 im Alter von siebzehn Jahren der siebte Herzog der Normandie wurde, mußte er zunächst seine Macht gegen die Neider im normannischen Adel verteidigen. Wie gut ihm jedoch das Spiel mit der Macht gefiel, zeigt sich, als er aufständische Edelleute seiner eigenen Familie mit Unterstützung des französischen Königs Heinrichs I. in der Nähe der Stadt Caen schlug. Dies hielt Wilhelm nicht davon ab, das Heer des hilfreichen Königs später selbst zweimal zu besiegen.

Fortan wurde Caen dank des Kriegsglücks und der strategisch günstigen Lage an der Mündung des Flusses Orne die Residenz Wilhelms. Zunächst errichtete der Herzog, eine wehrhafte, heute noch die Stadt überragende Burg. In der ausgedehnten Anlage befinden sich heute rings um die Grundmauern des Donjon ein Museum der Schönen Künste und das Normannische Regionalmuseum.

Offenen Widerstand gegen den Papst leistete sich Wilhelm mit der Heirat der schönen Mathilde von Flandern, einer Cousine fünften Grades. Das Kirchenrecht verbot eine solche Verwandtenehe, Wilhelm wurde exkommuniziert. Um den Papst jedoch günstig zu stimmen, stifteten die Gatten je ein Kloster östlich und westlich der Burg - die religiösen Bedenken des Papstes schwanden, der Kirchenbann wurde aufgehoben. Geblieben sind zwei architektonische Schmuckstücke, die Abbaye aux Dames (Frauenabtei) und die Abbaye aux Hommes, in deren Abteikirche St. Etienne sich heute das Grab Wilhelms befindet. Diese Abteikirche erlaubt einen eindrucksvollen Vergleich zwischen romanischer und gotischer Architektur. Vom Querschiff aus bemerkt man den frappierenden Unterschied: das aus würdig-schweren Rundbögen bestehende, im 11. Jh. erbaute Kirchenschiff scheint aus einer anderen Welt zu stammen als die reich gegliederten schmalen Säulen und Fenster des lichtdurchfluteten gotischen Chores. Auffällig ist auch die äußere Gestaltung dieses im 13. Jh. erneuerten Chores: zahlreiche Türme und Türmchen, Strebebögen und prächtige Rosettenfenster bereichern den Kapellenkranz. Das Kloster Mathildes, die Abbaye aux Dames, ist heute Sitz des Regionalrates und in der Abteikirche Ste. Trinité mit den Grab der Herzogin finden vor exzellenter Kulisse Konzertaufführungen statt. Das Baumaterial der beiden Klöster und der Burg von Caen ist der helle Sandstein der Gegend: la Pierre de Caen. Er besitzt hervorragende statische Eigenschaften, läßt sich „schnitzen wie Holz“ und erzeugt vor allem eine warme, helle Atmosphäre in den Gebäuden.

Die Bautätigkeit in Caen hielt jedoch Wilhelm nicht von weiteren militärischen Unternehmungen ab. Heute kann man Vorfeld und Ablauf seines wichtigsten Feldzuges anhand eines einzigartigen Dokuments studieren: den Teppich von Bayeux.

Jährlich über eine halbe Millionen Besucher scheinen den Titel «bedeutendstes Textilkunstwerk der Welt» zu bestätigen. Die Geschichte, Kultur und die Expansionszüge der Wikinger werden im Zusammenhang mit der Geschichte des Teppichs präsentiert. Alltagsszenen aus dem Leben zur Jahrtausendwende und Modelle der Bauten des Königs sowie ein abwechselnd englisch und französisch vorgeführter Film bereiten auf die Besichtigung des Kunstwerks vor. Man kann sich zunächst in Ruhe eine erläuternde Nachbildung desselben betrachten, bevor man schließlich per Kopfhörer (auch in deutscher Sprache) an dem fast tausendjährigen Comic Strip vorbeigeführt wird.

Es handelt sich bei den 70m langen und etwa 50 cm hohen „Teppich“ eigentlich um eine Stickerei. Mit Wolle in acht verschiedenen Farben sind auf Leinen 58 Szenen aus der Auseinandersetzung um die englische Thronfolge dargestellt. Diese lehrhafte Bildergeschichte erzählt den Besucher eine entscheidende Epoche des Mittelalters:

Der englische König Edward der Bekenner spürt den Tod nahen und möchte Wilhelm den Bastard zum Thronfolger benennen. Um dem Normannen diese glückliche Nachricht zu übermitteln, schickt er listigerweise den ehrgeizigsten englischen Thronanwärter, Harold Godwinson aus dem Hause Wessex, aufs Festland. Von Rivalität ist zunächst nichts zu spüren, Wilhelm und Harold besiegen gemeinsam einen bretonischen Fürsten, und der Herzog dankt dem Engländer, indem er ihn zum Ritter schlägt. Harold schwört bei heiligen Reliquien, zugunsten Wilhelms auf den englischen Thron zu verzichten und Wilhelm verspricht dem Freund die Hand seiner Tochter. Als jedoch König Edward stirbt, läßt sich der nach England zurückgekehrte Harold unter Bruch seines heiligen Eides zum König krönen. Prompt erscheinen auch schon im April 1066 der Halleysche Komet und ein ebenfalls um die englische Krone kämpfender norwegischer Prinz samt Armee als Unglückszeichen über England. Auch Wilhelm nimmt die Untreue nicht tatenlos hin, er läßt in Rekordzeit eine Flotte von 696 der bewährten Drachenschiffe zimmern und überquert mit über 15000 Mann und einer starken Reiterei den Kanal.

Die Darstellung dieser Überfahrt ist eine der eindrucksvollsten Partien des Teppichs und ist heute in vielen Geschichtsbüchern reproduziert (und selbst als Vorspann in der Robin Hood Verfilmung mit Cavin Costner zu sehen). Archäologische Funde von Schiffen der Wikinger bestätigen die Detailtreue der Wiedergabe. Mit rechteckigen Segel und Ruder ausgestattet manövrierfähige Schiffe, die zum Anlegen dank des flachen Kiels keines Hafens bedürfen, dienen den Normannen erneut zu militärischer Expansion. Drachenköpfe an Bug und Heck sollen den Feinden und bösen Geistern Angst einflößen.

Harold schlägt die Norweger bei York und muß mit seiner Armee nach Südengland in die Nähe der Küstenstadt Hastings eilen, wo das Heer Wilhelms wartet. Die Schlachtszenen des Teppichs zeigen originalgetreu ein wirres Durcheinander aus stürzenden Kriegern und Pferden, die Normannen glaubten, ihr Herzog sei gefallen. Als dieser sich zu erkennen gibt, indem er sein Visier hebt, bekommen sie neuen Mut.

Am 14. Oktober 1066 schließlich besiegt Wilhelm der Bastard in der Schlacht von Hasting den eidbrüchigen Harold und wird am 1. Weihnachstag des selben Jahres in Westminster zum englischen König gekrönt. Damit wählt er einen für die fränkische Geschichte bedeutungsvollen Tag: am 25 Dezember wurde im Jahre 800 Karl der Große gekrönt und 496 Clodwig als erster Frankenkönig getauft.

Dort wo der Teppich endet, beginnt eine glanzvolle Epoche in der englischen Geschichte. Nach drei Jahren Kämpfen mit dem widerspenstigen englischen Adel konnte Wilhelm in Ruhe sein Reich regieren. Er tauschte die englische Oberschicht durch getreue normannische Gefolgsleute aus, an den englischen Höfen wird von nun an französisch mit normannischem Dialekt gesprochen. Das wenig christianisierte England löst sich unter seiner Herrschaft vom wikingischen Skandinavien und wendet sich dem lateinischen Europa zu. Wilhelms Freund, der Abt der Abbaye aux Hommes in Caen wurde Erzbischof von Canterburry. Gleichzeitig belebte der König die Bautätigkeit, der White Tower wurde mit den bewährten Caennaiser Sandstein errichtet, die Kathedrale von Canterbury erbaut. Eines der bedeutendsten Werke seiner straff organisierten Zentralverwaltung ist das Doomsday Book, ein vollständiges Katasterbuch seines Reiches, das dem weisen Wilhelm zur Bemessung der Steuern diente - auch hier zeigt sich die weitreichende Vorbildwirkung Wilhelms für die abendländische Politik. Die Hafenstädte an den Küsten des Ärmelkanals erblühen - Caen und Portsmouth profitieren heute noch von der Fährverbindung. Sie wird besonders von englischen Touristen frequentiert, die die Herkunft ihres Königs erkunden wollen.

Wilhelm starb 1087 und das Anglo-Normannische Reich wurde zunächst durch seine Söhne geteilt und später wieder vereinigt. Die Normandie war während des Hundertjärigen Krieges (1337-1453) Zankapfel zwischen französischer und englischer Krone, 1453 waren die Engländer fast vollständig vom Kontinent vertrieben und die Normandie Teil Frankreichs.

Die Städte Falaise, Caen und Bayeux melden jährlich dank einer guten und vielseitigen touristischen Infrastruktur neue Besucherrekorde. Die rekonstruierten normannischen Burgen und besonders das «Centre Guillaume le Conquerant» (so bezeichnet man das in einem ehemaligen Jesuitenseminar untergebrachte Museum rund um den Teppich von Bayeux) geben dem interessierten Besucher ausführlich Auskunft über die Welt und das Wirken Wilhelm des Eroberers.

 

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Reiterstatue Wilhelm des Eroberers in seiner Geburtsstadt Falaise (Normandie, Departement Orne) rechts: Ausschnitt aus der “Tapisserie de Bayeux”. Die Flotte Wilhelms überquert den Kanal.

 

 
       
       
       

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